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Prüfungen und KI: Vom Symptom zur Systemfrage

Keynote | Donnerstag, 25.09.2025 | 10:15 – 11:00 Uhr

Prof. Dr. Dominik Herrmann | Universität Bamberg

Adobe Stock Wie motivieren wir Studierende zu eigenständigem Lernen, wenn KI-Werkzeuge jederzeit verfügbar sind? Individuelles Tutoring ist schließlich nun für alle erschwinglich. Wir beobachten jedoch eine zunehmende Externalisierung des Denkens, eine sinkende Diskursqualität in Lehrveranstaltungen und – zumindest in den Bamberger Informatik-Studiengängen – stark steigende Durchfallraten in Grundlagenveranstaltungen.

Die intensiv diskutierten Gegenmaßnahmen – etwa Knowledge-Cutoff-ausnutzende Aufgabenstellungen und die kleinteilige Überwachung durch verpflichtend abzugebende Chatverläufe – sind für Lehrende arbeitsaufwändig, aber leicht zu umgehen. Eine Antwort auf die eingangs gestellte Systemfrage geben sie nicht. Informatik-Studierende benötigen aber auch in Zukunft fundierte Grundkenntnisse, damit sie bei der Systementwicklung nicht zum Beifahrer werden. Das gilt sicher auch in anderen Fächern.

Auch Lehrende stehen vor neuen Versuchungen. Die Zeitersparnis durch eine automatische Korrektur von Freitextantworten wäre erheblich, ist aber rechtlich anspruchsvoll (KI-Verordnung, DSGVO) und didaktisch riskant (Bias, Halluzinationen). Vielversprechender erscheint die KI-gestützte Optimierung von Prüfungsaufgaben – etwa zur Identifikation von Ambiguitäten, die internationale Studierende benachteiligen könnten. Was die Qualität erhöht, wird jedoch schnell zur Prokrastinationsfalle.

Etablierte Formate sollten wir radikal überdenken. Drei Ansätze aus unserer Praxis: Erstens: Kontinuierliche Lernanreize durch unser Booklet-System – wöchentliche handschriftliche Lernnotizen, die als persönliches Klausurhilfsmittel zugelassen sind. Zweitens: E-Prüfungen unter Aufsicht in isolierter Umgebung mit realen Werkzeugen ohne KI-Zugriff, aber mit freischaltbaren Tipps und Rückfragemöglichkeiten. Drittens: Überwachte mehrstündige Schreibsessions als Alternative zu traditionellen Hausarbeiten – nicht perfekt, aber authentischer als die Fiktion eigenständiger Heimarbeit.

Wir brauchen eine Prüfungskultur, die konsequent wie beim Konzertauftritt oder Sportwettkampf Performance unter kontrollierten Bedingungen fordert. Nicht nur zur Wahrung der Chancengleichheit, sondern möglicherweise auch zum Schutz der Studierenden vor ihrer eigenen Willensschwäche. Das wahre Problem ist nicht die KI-Nutzung durch Studierende – es ist die Illusion, wir könnten Kompetenzen ohne performativen Nachweis bewerten.

Prof. Dr. med. Tobias Raupach, Universität Göttingen

Dominik Herrmann ist Professor für Privatsphäre und Sicherheit in Informationssystemen an der Universität Bamberg und ab Oktober 2025 Dekan der Fakultät. Seit 2017 entwickelt er innovative Lehrkonzepte: Mit seinem Klausur-Booklet-System motiviert er Studierende zur kontinuierlichen Mitarbeit – wöchentlich eingereichte Notizen werden als persönliches Hilfsmittel in der Klausur zugelassen. Mit psi-exam, einem selbst entwickelten Prüfungssystem auf autarken Linux-Laptops, führt er jährlich an etwa 20 Tagen digitale Prüfungen mit realitätsnahen Aufgaben durch. Als Co-Sprecher der Projekte DiKuLe und BaKuLe treibt er diese Innovationen universitätsweit voran. Mit KI-Werkzeugen experimentiert er konstruktiv – etwa mit einem KI-Co-Host in seinem YouTube-Kanal „inf.zone“ und seinem frei verfügbaren KI-Policy-Generator für Lehrende.

Seine Position: „Der Besuch der Universität muss sich lohnen und wieder mehr Spaß machen – trotz und mit KI.“ Seine Erfahrungen dokumentiert er auf https://uni-mal-anders.de/

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